Berlin – Klimahauptstadt

Michael Efler

"Die Klimakrise ist eine der größten Herausforderungen der heutigen Zeit. Daran kann überhaupt kein Zweifel bestehen. Für uns als Linke ist Klimaschutz schon deswegen ein zentrales Thema, weil wir eine internationalistische Partei sind." sagt Michael Efler.

45. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin, 29. August 2019

Dr. Michael Efler (LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Berlinerinnen und Berliner! Die Nachrichten der letzten Zeit sind bedrückend: Ein Hitzerekord bricht den anderen, Trockenheit und Waldbrände nehmen zu, und jetzt brennt auch noch der Amazonas. – Das ist leider nur ein Vorgeschmack auf das –,

[Stefan Evers (CDU): Was hier in Berlin passiert!]

– was auf die Welt zukommt, wenn der menschengemachte Klimawandel so ungebremst weitergeht wie bisher.  Schon bei einer Temperaturerhöhung von zwei Grad Cel­sius wird die Hälfe der Weltbevölkerung potenziell tödlichen Hitzewellen ausgesetzt sein. Jedes einzelne Grad Celsius Temperaturerhöhung bedeutet einen Ernterückgang von ungefähr 10 Prozent – und das bei einer steigenden Weltbevölkerung –, mit katastrophalen Folgen für die Nahrungsmittelversorgung. Für diejenigen, die dich vor allem für die Wirtschaft interessieren: Auch die ökonomischen Auswirkungen des Klimawandels sind verheerend. Die weltweite Pro-Kopf-Produktion wird sich um ein Fünftel reduzieren. Das wäre ein stärkerer Rückgang als bei allen Weltwirtschaftskrisen der Menschheitsgeschichte.

Herr Pazderski! Über den menschengemachten Anteil des Klimawandels sind sich 99,9 Prozent der ernsthaften Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler völlig einig. Die einzigen, die das ernsthaft leugnen, sind einige wenige von der Öl- oder Gasindustrie finanzierte Think Tanks in den USA und in Deutschland. Und Sie rennen einfach diesen Menschen hinterher. Das ist wirklich eine Schande!

Präsident Ralf Wieland:

Herr Kollege! Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Herrn Pazderski von der AfD zulassen.

Dr. Michael Efler (LINKE):

Nein! – Die Klimakrise ist eine der größten Herausforderungen der heutigen Zeit. Daran kann überhaupt kein Zweifel bestehen. Für uns als Linke ist Klimaschutz schon deswegen – und auch schon länger – ein zentrales Thema, weil wir eine internationalistische Partei sind. Klimaschutz und Klimawandel übersteigen nun einmal nationalstaatliche Grenzen. Wenn das Denken nur bis zum nationalen Gartenzaun reicht,

[Georg Pazderski (AfD): Fahren Sie doch mal
nach China und reden mit denen!]

dann wird man diese Herausforderungen nie verstehen, geschweige denn lösen können.

Das ist genau das Problem: Sie denken nur in nationalen Dimensionen. Das ist der Unterschied. Uns interessiert es, was in anderen Teilen der Welt passiert. Natürlich tragen wir zunächst einmal die Verantwortung für die Bundesrepublik Deutschland und für Berlin. Aber uns interessiert auch das, was in anderen Regionen der Welt passiert. Das ist Ihnen völlig egal; in dieser Hinsicht besteht ein großer Unterschied zwischen Ihnen und uns.

Deshalb: Global denken, lokal handeln – das ist das richtige Motto für uns in Berlin. Wir als Rot-Rot-Grün sind schon lange vor den Fridays-for-Future-Protesten, die wir natürlich außerordentlich begrüßen, angetreten für eine ambitionierte Klimapolitik. Unser Maßstab ist das Pariser Klimaabkommen. Wir haben vieles umgesetzt. Einiges wurde schon angesprochen; ich will das nicht alles wiederholen.

Ich will aber doch auf einen Punkt hinweisen: Als eine der ersten Gesetzesänderungen in dieser Wahlperiode haben wir das Berliner Betriebe-Gesetz geändert und die unsinnigen Beschränkungen der Geschäftstätigkeit der Berliner Stadtwerke abgeschafft. Wir haben die Stadtwerke mit 100 Millionen Euro Eigenkapital ausgestattet – und es wirkt. Die Stadtwerke produzieren mittlerweile Ökostrom für 40 000 Haushalte. Auch wenn noch Luft nach oben ist, sage ich ganz klar – und spreche dabei, so denke ich, für die gesamte Koalition –: Wir stehen deutlich hinter den Berliner Stadtwerken. Auch weiterhin werden wir die Stadtwerke dabei unterstützen, einer der Treiber der Energiewende in Berlin zu sein.

Für uns als Linke ist das auch ein Beweis dafür, dass wir öffentliches Eigentum ebenso brauchen wie öffentliche Unternehmen, um wesentliche gesellschaftliche Herausforderungen zu lösen. Der Markt allein wird viele Frage einfach nicht lösen. Deswegen ist es so wichtig, die Stadtwerke auf den Weg gebracht zu haben. Wir werden dabei weitermachen, etwa bei den Energienetzen.

Zum Kohleausstieg: Wir sind das erste und einzige Bundesland, das den Kohleausstieg gesetzlich festgelegt hat. Die FDP zum Beispiel war dagegen. Wir haben das Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm, den Nahverkehrsplan, das Mobilitätsgesetz und vieles mehr beschlossen. – Also alles gut bei unserer Klimapolitik?

Noch nicht! Wir sind noch nicht auf dem Pfad zur Klimaneutralität, wir sind noch nicht auf dem Pfad, unsere wirklich ambitionierten Ziele zu erreichen. Deswegen haben meine Partei und meine Fraktion ein umfangreiches Forderungspaket vorgelegt. Ich habe die Ehre und die Freude, Ihnen die wichtigsten Vorschläge daraus vorzustellen. Als Erstes wollen wir dem Vorbild zahlreicher anderer Parlamente und Kommunen folgen und die Bewältigung der Klimakrise politisch priorisieren. Dazu schlagen wir vor, dass das Abgeordnetenhaus die Klimanotlage ausruft und einen Klimavorbehalt einführt. Ein solcher Vorbehalt bedeutet, dass bei allen Gesetzes- und Senatsvorlagen die Auswirkungen auf den Klimaschutz geprüft werden müssen.

Zweitens wollen wir die Berliner Klimaziele verschärfen. Bisher haben wir Ziele, die dem Pariser Klimaabkommen nicht gerecht werden. Wir haben eine Zielvorgabe von einer Reduzierung in Höhe von 85 Prozent, die wir auf 95 Prozent erhöhen wollen. Außerdem wollen wir das schneller schaffen als vor dem Jahr 2050. – Das wird von uns von großen Teilen der Zivilgesellschaft erwartet. Wir müssen hier liefern, allerdings – das ist mir wichtig – auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse. Hierzu wollen wir mit dem Berliner Klimaschutzrat ins Gespräch kommen und einer Anpassung der Ziele noch in dieser Wahlperiode vornehmen.

Drittens wollen auch wir eine gesetzliche Solarpflicht, allerdings nicht nur bei Neubauten. – Warum soll diese Pflicht nicht auch für Bestandsgebäude gelten, liebe Grüne-Fraktion? – Das verstehe ich nicht so ganz. Wenn wir die Solarenergie wirklich verbreiten wollen, brauchen wir sie bei möglichst vielen Gebäuden.

Wir wollen auch ein Wärmegesetz beschließen, das zwei Dinge regeln soll: Zum einen soll es nach dem Vorbild von Baden-Württemberg Vorgaben für erneuerbare Wärme machen und zum anderen auch die Fernwärme regulieren, was bisher noch niemand in Berlin fordert, aber angegangen werden muss. 15 Prozent der CO2-Emissionen entstehen durch die Fernwärme. Auch das ist ein Markenzeichen linker Klimapolitik: Wir legen uns auch mit den wirtschaftlich Mächtigen an. Wir können nicht immer alle Lasten nur auf die Verbraucherinnen und Verbraucher, auf die Autofahrerinnen und Autofahrer abwälzen, sondern wir müssen auch an die Großkonzerne und an die großen wirtschaftlichen Player hier in der Stadt ran. Das werden wir auch tun.

Voraussetzungen für beide Vorhaben ist eine sozialverträgliche Ausgestaltung. Das ist für uns absolut zentral. Vor allem bei der Frage der Umlagefähigkeit auf die Miete wollen wir sehr stark aufpassen, was wir den Mieterinnen und Mietern möglicherweise zumuten und was wir ihnen nicht zumuten. Deswegen bietet es sich an, sich bei der Ausgestaltung von Wärmegesetz und Solarpflicht an die Regelungen des geplanten Gesetzes zum Mietendeckel anzulehnen.

Auf keinen Fall wollen wir mit dem Klimaschutz eine weitere Verdrängung von Mieterinnen und Mietern bewirken.

Die Verkehrspolitik ist absolut zentral. Ich bin dem Kollegen Buchholz sehr dankbar, dass er diesen Aspekt ebenso wie das Thema Flughafen so betont hat. Auch wir wollen den Flugverkehr zurückdrängen. Wir wollen auch keine Inlandsflüge mehr. Das können wir aber in Berlin nicht entscheiden. Das gehört auch zur Ehrlichkeit dazu. Ich würde mich auch darüber freuen, wenn die Senatorinnen und Senatoren auf den einen oder anderen Flug verzichten würden; damit habe ich kein Problem.

Wir wollen auch den motorisierten Individualverkehr zurückdrängen und dafür den ÖPNV, den Fuß- und Radverkehr sowie die geteilte Mobilität – auch in den Außenbezirken – massiv ausbauen. Wichtige Prioritäten sind für uns der Ausbau des Busverkehrs, ein beschleunigter Ausbau der Straßenbahn und die Behebung diverser Verkehrsprobleme.

Es wird aber nicht ausreichen, nur auf das Angebot zu setzen; wir wollen auch auf preisliche Maßnahmen setzen. Unsere Vision ist ein fahrscheinloser Nahverkehr, dessen Grundlagen wir in dieser Wahlperiode schaffen wollen, um dann – hoffentlich in der nächsten Wahlperiode – weiterzukommen.

Wir stehen gerade unmittelbar vor Haushaltsverhandlungen. Auch in dieser Hinsicht würde es uns gut anstehen, weitere klimapolitische Schwerpunkte zu setzen. Wir haben folgenden Vorschlag für die Haushaltsberatungen: Wir wollen deutlich mehr Mittel für die energetische Sanierung öffentlicher Gebäude bereitstellen. Das betrifft etwas Polizei- und Feuerwehrwachen. – Übrigens, Herr Freymark! Die Stadtwerke modernisieren schon längst Polizeiwachen; das haben Sie noch nicht mitbekommen. – Wir wollen aber noch mehr Geld bereitstellen für die

Sanierung von Polizeigebäuden, Kultureinrichtungen, Hochschulen, Verwaltungsgebäuden. Das ist klimapolitisch sinnvoll, weil es sich in relativ kurzer Zeit in der Form von CO2-Einsparungen rechnet. Ferner ist es betriebswirtschaftlich sinnvoll, weil wir die Energiekosten senken und damit langfristig den Landeshaushalt entlasten.

Jetzt noch ein bisschen etwas zum Gesetz über den Mietendeckel: Keine Ahnung, nur ganz kurz.

[Lachen bei der CDU und der AfD]

– Keine Angst, nur ganz kurz! – Beim Mietendeckel werden wir letztlich eine Regelung finden, finden müssen, die für die Mieterinnen und Mieter tragfähige energetische Sanierungen ermöglicht.

Natürlich werden wir das tun müssen. Wir wollen in der Tat – das hatte der Kollege Kössler gesagt – die Spreu vom Weizen trennen. Dem Geschäftsmodell – einiger, nicht aller Vermieterinnen und Vermieter in Berlin – des Herausmodernisierens von Mieterinnen und Mietern mit energetischen Sanierungen, die teilweise keinen oder nur begrenzten Effekt auf den Energieverbrauch haben, wollen wir einen Riegel vorschieben, aber Sanierungen in Berlin nicht grundsätzlich verbieten.

Wenn wir das schaffen, dann haben Berlin und Rot-Rot-Grün ein großes, großes Potenzial ausgeschöpft.

Wir wollen Grünflächen und Bäume sichern sowie den Stadtentwicklungsplan Klima fortschreiben. Der Antrag der FDP zur Klimawandelfolgenanpassung ist eine gute Grundlage, über die wir in den Ausschüssen beraten werden. Wir müssen auch – darüber hat hier noch niemand gesprochen – über das Thema Ernährung reden. Der Ernährungssektor ist zu 20 Prozent verantwortlich für den Klimawandel, für Treibhausgasemissionen. Deswegen wollen wir mehr saisonale, mehr regionale, mehr Biolebensmittel und auch mehr vegetarische und vegane Kost in unseren Mensen haben. Dafür treten wir ein.

Zum Schluss noch zwei Dinge: Für uns als Bürgerrechts­partei ist eines noch sehr wichtig. Wir wollen all diese Veränderungen nicht von oben verordnen, sondern wir wollen sie mit der Stadtgesellschaft besprechen und zusammen durchsetzen. Deswegen steht bei unserer Klimapolitik ein Maximum an Bürgerbeteiligung und demokratischer Mitbestimmung im Fokus.

Letzter Punkt: Die Linke steht für ambitionierten Klimaschutz im Parlament und auf der Straße, zum Beispiel am 20. September beim Klimastreik. Unser Klimaschutz ist sozial gerecht, mit starkem öffentlichen Eigentum und starken öffentlichen Unternehmen verbunden, und wir legen uns mit den wirtschaftlich Mächtigen an. – Das alles ist nötig, damit es irgendwann zu Recht heißt: Berlin ist Klimahauptstadt. – Vielen Dank!

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